(...) Ihren lieben Brief erhielt ich gerade, als ich von einer kleinen Wintererholungsreise zurückkam, da ich um Neujahr das unabwendbare Bedürfnis einer Ausspannung empfand, nachdem ich vom Oktober an bei täglich neunstündiger Arbeit mich der übernommenen, höchst mühseeligen Übersetzung der Beschlüsse der letzten Kirchenversammlung von Trient unterzogen hatte. Da die Witterung ziemlich mild war, setzte ich mich in Bonn auf das Dampfschiff und fuhr nach St. Goar am Lurleifelsen, um einer oft an mich ergangenen Einladung des Poeten Freiligrath nachzukommen, mich zu überzeugen, wie glücklich häuslich er sich mit seinem jungen Weibchen dort niedergelassen habe; was denn zum Theil eine etwas wehmütige Aufgabe für den anderen Poeten (d.h. für mich) war, der sich in sein Alleinstehen in der Welt (der Heilige Vater hört's ja nicht) noch immer nicht finden kann, obgleich ihm schon eine ganz große 46 auf dem Rücken verzeichnet steht.
Dieser wehmütigen Schattierung ungeachtet, habe ich ein paar recht angenehme Tage bei Freiligrath zugebracht und mich von Herzen seines Glückes gefreut. Seine Frau war recht neugierig, mich kennen zu lernen, weil ein Sinngedicht, das ich an Freiligrath sandte, als er mir vor zwei Jahren seine Verlobung anzeigte, ihr so sehr viel Freude gemacht hatte. Es findet nämlich der gewiß höchst sonderbare Umstand statt, daß die junge Frau mit ihrem Familiennamen Melos heißt, ein griechisches Wort, das im Deutschen soviel wie Lied oder Gedicht bedeutet, worauf ich denn damals Folgendes niederschrieb:
Schein' es Keinem wundersam,
Seht nur, es geschieht;
Dichter ist der Bräutigam,
Und die Braut das Lied.