150 Jahre "Ein Glaubensbekenntniß" (Ferdinand Freiligrath)

Rede zum Festakt im Hansenssaal auf Burg Rheinfels/St. Goar am 23. September 1994
von Jürgen Helbach

Viel Mut zeigte vor 150 Jahren der Mainzer Verleger Victor von Zabern, als er es übernahm, das "Glaubensbekenntniß" von Ferdinand Freiligrath herausuzugeben. Für den Verleger Cotta in Stuttgart war dieses Unternehmen einfach zu gefährlich.
Viel Mut zeigt heute der Philipp von Zabern Verlag, einen Reprint dieses Glaubeenbekenntnisses verbunden mit einem Kommantarband von Kurt Roessler und Irene Hufnagel dem interessierten Publikum anzubieten. Damals zeugte es von Zivilcourage, heute ist es ein unternehmerisches Risiko. Dessen ist sich der Verlag durchaus bewußt.
In einem Schreiben vom 6. April 1993 teilte mir Herr Rutzen vom Philipp von Zabern Verlag mit:

"Auch ich hatte schon einmal an einen Faksimile-Nachdruck gedacht, jedoch heute keine Absatz-Chance gesehen.
Wer liest heute noch Lyrik, auch wenn sie von freiheitlichen Themen beflügelt ist?
Was wurde aus diesem Idealismus?

Herzlichen Dank Herr Rutzen, daß Sie es dennoch gewagt haben.
Herzlichen Dank aber auch Ihnen Herr Roessler und Ihnen Frau Hufnagel für Ihren engagierten Einsatz!
Manch einer wird sich dennoch fragen: Was sollen wir heute eigentlich noch mit diesem antiquierten Kram? Freiligrath und seine Zeitgenossen taugen doch höchstens noch als Tummelplatz für einige Professoren, die sich dem Ewig-Gestrigen verschrieben haben.
Dem ist nicht so. Freiligrath hat auch heute nichts von seiner Aktualität verloren. In Zeiten der Politik- und Parteienverdrossenheit ist es angebracht, sich der Frauen und Männern zu erinnern, die durch ihren persönlichen Einsatz uns die demokratischen Rechte erstritten haben.

In seinem Stück "In Goethes Hand", Szenen aus dem 19. Jahrhundert (Erstauflage 1982) läßt Martin Walser den Autor der "Gespräche mit Goethe", Johann Peter Eckermann, gegenüber den ihn besuchenden Ferdinand Freiligrath folgendes sagen:

"Schockiert hat es uns schon. Zuerst gibt er (Ferdinand Freiligrath) den Zeitungsdichtern Saures. Goethe hätte das nicht besser sagen können:
Der Dichter steht auf einer höhern Warte
Als auf den Zinnen der Partei.
Sagt´s der Nation, und singt sich heiser für die Revolution. Kaum singt er für die Revolution, ist sie da. Es gibt Leute, die können etwas im richtigen Augenblick tun. Das ist Genialität. Mein Gott, hab ich unseren Herrschaften den Schock gegönnt: Ihr Liebling Freiligrath singt plötzlich die Republik... "

Wer war nun dieser Ferdinand Freiligrath, der heute fast vergessen - selbst Deutschlehrer kennen ihn kaum noch - so großen Einfluß auf seine Zeitgenossen ausübte? Wie wurde er zum "Trompeter der Revolution"?
Am 17. Juni 1810 wurde Ferdinand Freiligrath als Sohn eines Lehrers in Detmold geboren. Mit 15 Jahren verließ er das Detmolder Gymnasium, um Kaufmann zu werden. Seine eigentliche Berufung fand er aber in der Dichtkunst. 1838 erschien sein erster Gedichtsband und wurde begeistert aufgenommen. Clemens Brentano, der große Romantiker, jubelte beim Erscheinen dieser Gedichte, sah er doch in Ferdinand Freiligrath einen Dichter, der sich nicht eitel und treulos in den eigenen Schmerzen verfange.
1842 erhält Ferdinand Freiligrath vom preußischen König eine Pension und siedelt mit seiner jungen Frau Ida, einer Tochter des Weimarer Lateinprofessors und Freund der Goethe Familie Melos, nach St. Goar. Erste Konflikte mit der Zensur und die allgemeine politische Entwicklung in Preußen veranlassen ihn später, die Annahme der königlichen Pension zu verweigern.
Im Herbst 1844 erscheint das "Glaubensbekenntniß". Es folgen für Ferdinand Freiligrath und seine Familie Jahre des Exils in Belgien, der Schweiz und England, die lediglich unterbrochen werden durch seine publizistische Mitwirkung bei der von Karl Marx herausgegebenen "Neuen Rheinischen Zeitung" in Köln während den Monaten der 48er Revolution.
Nach deren Scheitern flieht er zum zweiten Mal nach London. Erst nach 17 Jahren des Exils kommt er 1868 nach Deutschland zurück. Am 18. März 1876 stirbt Ferdinand Freiligrath in Cannstatt/Stuttgart.
Fast zwei Jahre hat Ferdinand Freiligrath in St. Goar gelebt. Hier hat es sich sich zum Sänger der Revolution und einem überzeugten Demokraten entwickelt. Anlaß genug, daß wir uns in St. Goar an diese demokratische Tradition erinnern, ja, daß wir bewußt zu ihr stehen.
So regte denn auch der Ortsbeirat an, diesem Ereignis, der Entstehung des Glaubens- bekenntnisses, und seinem Autor, ein Denkmal zu setzen.
Heute haben wir uns hier versammelt, den 150. Geburtstag dieses Buches zu feiern, eines Buches, das allein schon auf Grund seiner politischen Wirkung für die deutsche Demokratie aus seiner Vergessenheit entrissen werden mußte.
Vom literarischen und ästhetischen Standpunkt her gehören die Gedichte des Glaubensbekenntnisses sicherlich nicht zu den besten Werken Freiligraths. Keines seiner anderen Werke hatte aber bei seinem Erscheinen einen solch durchschlagenden Erfolg.
Das Glaubensbekenntnis ist ein Zeitdokument und wurde von Ferdinand Freiligrath auch als solches aufgefaßt, gab er ihm doch den Untertitel "Zeitgedichte". Viele dieser Gedichte sind für uns heute und aus heutiger Sicht schwer zu verstehen.
Daher ist es hier angebracht, in aller gebotenen Kürze auf die Zeit, in die Ferdinand Freiligrath hineingeboren wurde, einzugehen.
Der Kampf um die nationale Einheit Deutschlands war die zentrale Frage und die Hauptforderung der progressiven Kräfte in der Zeit von 1815 bis 1848. Er vollzog sich in mehreren Etappen. Während die nationale Einheitsbewegung von 1815 bis 1830 vorwiegend von der Intelligenz an den deutschen Universitäten getragen wurde, übernahm in einer zweiten Phase unter dem Einfluß der französischen Julirevolution 1830 und des polnischen Freiheitskampfes 1830/31 das liberale Bürgertum eine führende Rolle. Eine Fülle lokaler Aufstände fand ihren Höhepunkt 1832 im Hambacher Fest.
Der am 7. Juni 1840 erfolgte Thronwechsel in Preußen (König Friedrich Wilhelm IV.) erweckte große Hoffnungen auf eine liberalere Haltung, die aber schnell durch die Ablehnung jedes Verfassungszugeständnisse enttäuscht wurden. "Alles für das Volk, nichts durch das Volk."
Mächtig meldeten sich nun politische Dichter zu Wort. Einer ihrer ersten Wortführer war Gerorg Herwegh. Mit "Gedichte eines Lebendigen" traf er genau die Stimmung und feierte als Agitator Triumphe in Deutschland und eröffnete eine bis daher unbekannten literarische Auseinandersetzung. Im Für und Wider schieden sich die Geister.
Ferdinand Freiligrath geriet zunächst ungewollt in diesen Streit. Noch in Darmstadt hatte er in seinem Gedicht "Aus Spanien" den reaktionären Diego Leon gefeiert. Fast entschuldigend, daß er ein politisches Thema aufgegriffen hatte, ließ er darin eine Strophe mit den schon zitierten Zeilen enden:

Der Dichter steht auf einer höhern Warte
Als auf den Zinnen der Partei

Herwegh veröffentlichte daraufhin in der Rheinischen Zeitung sein berühmtes Gedicht "Die Partei" als einen direkten Angriff auf Freiligrath:

Partei! Partei! Wer sollte sie nicht nehmen,
Die doch die Mutter aller Siege war!
Wie mag einer Dichter solch ein Wort verfemen,
Ein Wort, daß alles Herrliche gebar?

Und weiter:

Nur offen wie ein Mann: Für oder Wider?
Und die Parole: Sklave oder frei?
Selbst Götter stiegen vom Olymp hernieder
Und kämpften auf den Zinnen der Partei!

Der Streit erregte die Öffentlichkeit in ungewöhnlichem Maße. Letztlich ging es doch um die entscheidende Frage, welche Position die Dichter in dieser vorrevolutionären Zeit einnehmen sollten. Dabei traten aber persönliche Betroffenheiten stärker als politische Positionen in der Vordergrund. An der Entwicklung der Beziehungen zwischen Ferdinand Freiligrath und Georg Herwegh läßt sich dies deutlich ablesen.
Anfangs schätzte Freiligrath seinen Dichterkollegen durchaus, nannte er ihn doch einen "famosen Kerl". Lediglich sprach er sich gegen dessen politische Dichtung aus.
"Die Poesie soll sich eben an das Ewige, Bleibende halten." Dagegen bemühte Herwegh sich eiligst, Freiligrath zu versichern, daß sein Gedicht nicht persönlich gemeint sei. In einem Brief an seinen Dichterkollegen schreibt er:

"Können wir zwei einen Weg gehen und durch das Band eines Glaubens verknüpft werden - wie herrlich, wie erwünscht für mich!"

Trotzdem ging der Streit weiter und wurde teilweise auch durch die preußische Regierung gesteuert. Emanuel Geibel, der - ebenfalls wie Freiligrath zu diesem Zeitpunkt noch - eine königliche Pension erhielt, nahm für sich in Anspruch:

Ich sing´ um keines Königs Gunst
Es herrscht kein Fürst, wo ich geboren;
Ein freier Priester freier Kunst,
Hab ich der Wahrheit nur geschworen.

Dabei wirft er Herwegh vor:

Bist Du Dir selber klar bewußt,
Daß deine Lieder Aufruhr läuten?
Daß jeglicher in seiner Brust
Das Ärgste mag aus ihnen deuten.

Ähnlich argumentierte Ferdinand Freiligrath in seinem Gedicht "Ein Brief":

Dir folgt, wie plumpen Schnittern,
Ein Rauschen, hörbar kaum;
Das ist der Triebe Zittern
Am jungen Freiheitsbaum!
Der Knospen und der Triebe,
Die freudig ihn geschmückt!
Die, ach, mit einem Hiebe
Du alle fast geknickt.

Es ist schon erstaunlich, wie dieser Streit Freiligrath letztendlich doch Partei ergreifen ließ. Es zeigt aber auch, daß er in politischen und philosophischen Fragen noch völlig im Dunkeln tappte. Sicherlich hat ihm diese Auseinandersetzung den Blick für die brennenden Fragen der Zeit geschärft. Letztlich hat er sich auf die Seite Herweghs geschlagen, bekennt er doch im Vorwort des Glaubensbekenntnisses:
".. und das Ärgste, was sie (seine Kritiker) mir vorzuwerfen haben, wird sich zuletzt vielleicht auf das eine beschränken, daß ich nun doch von jener höheren Warte auf die Zinnen der Partei herabgestiegen bin."
Dieser Wandel und die Einsicht in die Notwendigkeit der parteilichen Stellungnahme hat sich bei Ferdinand Freiligrath während seines Aufenthaltes in St. Goar vollzogen. Dies geschah nicht von heute auf morgen. Vielmehr treffen mehrere Ereignisse und Erfahrungen aufeinander. Persönliche Enttäuschung bei der Begegnung mit König Friedrich Wilhelm IV. in Koblenz, die Schwierigkeiten mit der sich ständig verschärfenden Zensur, die Betroffenheit über das brutale Vorgehen gegen die in ihrer Existent bedrohten und an der allgemeinen Lebensmittelknappheit leidenden Aufständigen (etwa Weberaufstand im Frühjahr 1844), vor allem aber die Begegnungen und Diskussionen mit Freunden und Gleichgesinnten haben entscheidend dazu beigetragen. (siehe etwa: An Hoffmann von Fallersleben.)

Eine kleine Reminiszenz sei hier aber noch einem anderen Dichter dieser Zeit erlaubt: Heinrich Heine:
Fast gleichzeitig mit dem Glaubensbekenntniß erschien auch Heines "Deutschland - Ein Wintermärchen", das mit diesem zu den wichtigsten Werken des Vormärz gehört.
Heinrich Heine hatte 1841 mit seinem Versepos "Atta Troll" sich ebenfalls gegen die Polemik der politischen Dichter ausgesprochen und sich dabei auch über den exotischen Mohrenfürsten in Freiligraths frühen Gedichten lustig gemacht.

"Bei den ewigen Göttern! Damals galt es, die unveräußerlichen Rechte des Geistes zu vertreten, zumal in der Poesie."

Somit wendet er sich gleichzeitig mit Ferdinand Freiligrath gegen Stoff und Tonart der Zeitungsdichter und tritt ebenfalls als Verteidiger der Poesie auf. Die Hochschätzung, die Heinrich Heine dem Dichter Ferdinand Freiligrath entgegenbringt, formuliert Heine 1844 in einem Vorwort zur Neuauflage des Atta Troll:

"Noch ein Wort: Bedarf es einer besonderen Verwahrung, daß die Parodie eines  Freiligrathschen Gedichtes, welches aus dem "Atta Troll" manchmal mutwillig hervorkichert und gleichsam eine komische Unterlage bildet, keineswegs eine Mißwürdigung des Dichters bezweckt? Ich schätze denselben hoch, zumal jetzt, und ich zähle ihn zu den bedeutendsten Dichtern, die seit der Julirevolution in Deutschland aufgetreten sind."

Zum Schluß eine knappe Anmerkung zu Freiligraths Verhältnis zu Karl Marx und seiner Einschätzung des Kommunismus:

"Ich bin kein Communist, wenigstens nicht Communist von der enragirten Sorte, aber ich bin der Meinung, daß die neue Lehre, wenn sie auch nur einen Übergang vermitteln sollte, ein wesentlicher Fortschritt ist, uns daß sie, in der Humanität wurzelnd, mehr anregen, fördern und zuletzt zur Entscheidung bringen wird, als eine einseitig politische Anschauung. Ueber die Illusionen deutscher Constitutionen und Constitutiönchen sollten wir doch hinaus sein! Der Communismus wird eine Zukunft haben! Alle seine Träume werden nicht verwirklicht werden, aber wenn er auch, gleich dem Columbus, nicht in Indien landet, so wird er doch ein Amerika entdecken."

So zeigt denn auch dieses Zitat, daß Ferdinand Freiligrath sich den Fragen der Zeit stellt, daß er entschieden Partei ergreift, ohne parteiisch zu sein.

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