aus: DIE ZEIT, Nr. 29 (12. Juli 1996), S. 60

Der Trompeter der Revolution

Zweimal trieben die Preußen den Freiheitssänger Freiligrath ins Exil, spät holte ihn die Nation heim / Von Wolfgang Büttner

Einst war er Deutschlands populärster Dichter, heute ist er zu Unrecht vergessen:
Der Radikaldemokrat Ferdinand Freiligrath (1810 – 1976)

Seit dieser Poet ,,zu singen begonnen hat, sind wir anderen Spatzen", schrieb kein Geringerer als der Dichter Adalbert von Chamisso. Er meinte den Detmolder Lehrersohn und Jungkaufmann Ferdinand Freiligrath, dessen erste Gedichtsammlung 1838 bei Cotta erschienen war und sogleich von den Zeitgenossen mit leidenschaftlichem Beifall bedacht wurde. Wie sie empfand auch Freiligrath selber seine ,,Wüsten- und Löwenpoesie" als ,,allerentschiedenste Opposition gegen die zahme Dichtung wie gegen die zahme Sozietät". Heinrich Bürgers, Freund des Dichters aus späteren Tagen, verglich "ihr Erscheinen" in einem Gedenkartikel mit einem Meteor, der einen neuen Anfschwuung der deutschen Lyrik bewirkt habe.

Doch nicht nur der romantische Hauch aus fremden Ländern weckte Freiligraths poetisches Talent. Auch historische Stoffe gestaltete er in Versen, die außerordentlich populär wurden. Erinnert sei an ,,Prinz Eugen, der edle Ritter...". Gleichzeitig war er bemüht, aktuelle ,,Genrebilder" aus ,,dem Strudel der Tagesereignisse herauszufischen". Ein Zeitungsbericht über den Sohn einer armen irischen Frau, der von zinsfordernden englischen Soldaten erschossen wurde, inspirierte den Dichter zu dem bewegenden Gedicht ,,Die irische Witwe", das auf sein tiefes Mitempfinden für soziale und zugleich politisch begründete menschliche Tragik hindeutet.

Einen Bericht über die Erschießung des spanischen Putschisten Diego Leon 1841 griff Freiligrath ebenfalls ,,aus menschlichem Interesse" auf Denn der General war durch den Regenten Baldomero Espartero verurteilt worden, der vordem mit Leon innig befreundet gewesen war. Der Freund und Waffenbruder verdammte seinen früheren Gefährten:

,,Nicht wahr - sie schliefen in demselben Zelt?
... Aus einem Becher tranken sie? - Gewiß!
Ihr saht es oft! - 0 Gott, und heute? -,Feuer!..'"

Und der Dichter beschwor einen Rächer aus den Gebeinen des Hingerichteten. Die politische Brisanz des Ereignisses war Freiligrath nicht unbekannt: Espartero, Führer der Liberalen, hatte in Spanien die feudale Reaktion geschlagen, eine Verfassung und bürgerliche Reformen durchgesetzt und so den Zorn der Mächte der Heiligen Allianz herausgefordert, deren ganze Sympathie dem Putschistengeneral Leon galt. Freiligrath konnte also für sein Gedicht aus den Reihen der radikalen bürgerlichen Opposition keine Zustimmung erwarten. Doch deren Bedenken schob er beiseite:

,,Ob jedem recht - schiert ein Poet sich drum?
Seit Priams Tagen, weiß er, wird gesündigt
In Ilium und außer Ilium!"

Dann folgt das berühmte und, wie er selber bekannte, "keck hingeschmissene Wort":

,,Der Dichter steht auf einer höhem Warte,
als auf den Zinnen der Partei."

Heftigster Widerspruch kam aus den Reihen der junghegelianischen Schule, die politische Wertungen über ästhetische stellte. Der Streit um politische Poesie, der nun begann, wurde mit der Neuerscheinung der Rheinischen Zeitung am 1. Januar 1842 noch heftiger. Schon in der ersten Ausgabe verspottete Moritz Fleischer den von Freiligrath beanspruchten ,,höheren Standpunkt über dem Treiben der Parteien".

Wenige Tage später veröffentlichte das Blatt Georg Herweghs Gedicht ,,Die Partei", das mit dem Vorwurf an Freiligrath beginnt:

,,Du drückst den Kranz auf eines Mannes Stirne,
Der wie ein Schächer jüngst sein Blut vergoß."

Herweghs Hohelied auf poetische Parteinahme endete mit dem Vers: ,, Und meinen Lorbeer flechte die Partei!"

Freiligrath nahm das an ihn persönlich gerichtete Gedicht, das von den Liberalen so gepriesen wurde, durchaus beifällig auf. Aber es wollte ihm nicht einleuchten, ,,daß die Poesie eben nichts anderes mehr zu tun hätte, als à la Herwegh die Trompete zu blasen. ... - das kann nicht das Rechte sein! Nirnmermehr!"

Als jedoch Herwegh ihm in einem Brief vorwarf, dem ,,trostlosen Indifferentismus" mit dem Spaniengedicht eine ,,brauchbare Waffe in die Hand" gegeben zu haben, kam es zwischen beiden Dichtern zum Bruch. Freiligrath fühlte sich bedrängt und ging gegenüber Herweghs Freunden, den ,,halbgaren Schreiern des Radikalismus", ncch bestimmter auf Distanz, zumal ihm die Gegenpartei in Gestalt des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. gerade nach der Veröffentlichung des umstrittenen Spaniengedichts als Gunstbeweis eine Ehrenpension von jährlich 300 Talern gewährte.

Im Dezember 1842 aber sah sich Freiligrath zur öffentlichen Schelte bewogen: Herwegh hatte für einen folgenreichen Eklat gesorgt. Auf einer Deutschlandreise war der Vielgefeierte sogar vom Preußenkönig empfangen worden. Dann aber überraschte ihn das Verbot einer Zeitschrift, deren Redaktion er übernehmen wollte. Daraufhin schrieb Herwegh an den König einen mutigen, aber auch höchst respektlosen Brief. Friedrich Wilhelm IV. ließ ihn ausweisen. Die Leipziger Allgemeine Zeitung, die den Brief veröffentlichte, wurde in Preußen unterdrückt. Die Rheinische Zeitung und andere, der Obrigkeit mißliebige Organe kamen auf die Verbotsliste der preußischen Regierung. Und der König verschärfte die Zensur.

Freiligrath fand, der junge Dichter habe durch sein Verhalten die ganze neue Unterdrückungswelle verschuldet. Der Zorn führte ihm die Feder:

,,Ein Brief", so nannte er die Verse, in denen er Herwegh vorwarf, ,,ruhmredig" die Lanze, "mit der die Hoffahrt ficht!", geschwungen und damit sogar Knospen und Triebe am jungen Freiheitsbaum geknickt zu haben. Freiligrath erwartete, die "Männer des gesetzmàßigen, vernünftigen Fortschritts" würden sein Gedicht begrüßen.

Statt dessen viel Reserviertheit, Kritik und scharfe Ablehnung. In fast allen Blättern, berichtete Landrat Heuberger dem rheinischen Oberpräsidenten, falle man über den Dichter her. Freiligrath wurde bald nachdenklich Denn der zunehmend härtere Kurs der preußischen Regierung machte ihm zu schaffen. Zeitungsverbote oder Repressalien, wie die rigorose Amtsenthebung des Fallerlebeners Heinrich Hoffmann empörte ihn.

Nun erst recht wollte Freiligrath als Dichter seine freiheitliche Gesinnung beweisen. Leidenschaftlicher Schaffensdrang erfüllte ihn: "... . ich sage Assah!, spucke in die Hände, und ein Gedicht ist fenig." Aber nun stieß auch er auf die von der Zensur gezogenen Schranken. Dem Rotstift fielen Vene zum Opfer, die ,,den falschen Freiheitsideen, der feindlichen Entgegensetzung der verschiedenen Stände in aufregender Weise das Wort" redeten. Immer klarer ,wurde ihm bewußt, daß die "Stickluft", die er bislang oben und unten empfunden hatte, doch eher oben zu suchen war.

Die Pension des Königs vor allem hatte ihn in eine der "verfluchtesten aller Amphibienstellungen ... hineinpatschen" lassen. Nun brach es aus ihm heraus: ,,Ich will frei und ungehemmt dastehen - die paar hundert Taler sind und bleiben doch ein Maulkorb. Ich kann das nicht mehr ertragen, vollends jetzt nicht, wo fast alles, was der König tut, einem die Brust beklemmt... ich schlag dem Faß den Boden ein!" Er verzichtete auf die königliche Unterstützung. Im Vorwort zu seinem neuen Gedichtband, "Ein Glaubensbekenntnis", bekannte er sich im Sommer 1844 "offen und entschieden zur Opposition". Er wollte "kein Leben mehr ... ohne Freiheit" führen.

In Deutschland konnte er nun nicht länger bleiben. Der preußische Staat verfolgte ihn wegen Majestätsbeleidigung. Einige Monate verweilte er in Belgien und dann in der Schweiz. Hier beeindruckte ihn, "wirklich einmal politisches Leben" anzutreffen, ,,Leidenschaft gegen Leidenschaft ... Faust regen Faust", und er mokierte sich über die Deutschen, die es fertigbrachten, sich überflüssiger Weise "über den lieben Gott zu zanken, solange es noch Könige zu entthronen gibt". Letzteres hielt er nun doch für unumgänglich, nicht mehr durch Reformen, ,,nur durch die Revolution". Wie er sie verstand, spricht deutlich genug aus seinem nächsten Gedichtband, den er, anspielend auf die Große Französische Revolution, ,,Ca ira!" betitelte.

Existenzsorgen zwangen Freiligrath 1846 nach London überzusiedeln und dort die Stellung eines Korrespondenten in einer Handelsfirma zu übernehmen. Doch auch hier war das Leben für die Faniilie nicht leicht. Aus der Londoner Perspektive erschien ihm ,,die Tyrannei in Deutschland", so der Eindruck einer Bekannten, sogar ,,bei weitem nicht soo drückend gewesen, als der soziale Zwang hier". Freiligrath entschloß sich, einen Neuanfang in Arnerika zu wagen. Doch da erreichte ihn 1848 die Nachricht vom Ausbruch der Revolution auf dem Kontinent und änderte alle seine Pläne: ,,Ich will nicht der Soldat sein, der vom Schlachtfelde desertiert." Der Sieg der Revolutionäre in Paris begeisterte ihn:

"Das war ein Sieg aus einem Stück!
Das war ein Wurf! Die Republik!
Und alles in drei Tagen!"

Der Dichter wurde nun außerordentlich produktiv. Hoffnungsvolle Blicke richtete Freiligrath auf Deutschland. Schon in den ersten Märztagen mußten die Fürsten in den südwestlichen Kleinstaaten Versammlungs- und Pressefreiheit zugestehen. An die Stelle der alten Regierungen traten die sogenannten Märzministerien, in denen Vertreter der bürgerlichen Opposition einflußreiche Stellungen erhielten. Doch diese Erfolge genügten Freiligrath nicht, und er warnte vor Illusionen: -

,,Das ist noch lang die Freiheit nicht
Sein Recht als Gnade nehmen
Von Buben, die zu Recht und Pflicht
Aus Furcht nur sich bequemen!"

Begeisterung, Achtung und Bewunderung für die Barrikadenkämpfer des 18. März 1848 sprechen aus dem Gedicht "Berlin". Dem Andenken an die Opfer schließt er wieder mahnende Worte an: "Denn einen Kampf, der so begann, / Soll kein Ermatten schänden!"

Im April stand Freiligraths Entschluß fest, nach Deutschland zurückzukehren. Würde es neue Kämpfe geben, so wollte er sie teilen, denn das ei- nige Deutschland, das er sich wünschte, sollte, nach Frankreichs Vorbild, eine Republik sein:

,, Daß Deutschland stark und einig sei,
Das ist auch unser Dürsten!
Doch einig wird es nur, wenn frei,
Und frei nur ohne Fürsten!"

Völlig unakzeptabel war für Freiligrath ein Staat mit dem Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. an der Spitze, dem er seine Rolle in den Märztagen nicht verzieh. An die frühere Verlobte Lina Schwollmann schrieb er damals: ,,Du glaubst, wie ich aus Deinem Brief sehe, wirklich an das ,Mißverständnis', ... welches zu der Berliner Mordnacht den Anlaß gegeben haben soll. Ich aber sage und schwöre Euch: es war kein Mißverständnis! Es war Plan ... Der König meinte in seiner Verblendung und Herzlosigkeit wirklich, er könne den ... Volksgeist mit Kugeln und Kartätschen niederhalten."

Im ,,Lied vom Tode", dem letzten in London geschriebenen Gedicht, sagt Freiligrath den Deutschen unmißverständlich: ,,Ihr habt, was ihr tatet, nur halb getan!" Im Mai 1848, endlich wieder in Deutschland, klagte er auch ganz offen die Märzminister an, die er für Halbheit und Stagnation im Revolutionsverlauf verantwortlich machte. In seinem ersten, in der Heimat geschriebenen Gedicht, veröffentlicht in der von Karl Marx geleiteten Neuen Rheinischen Zeitung, zog er kritische Bilanz:

,,Ein schnöder scharfer Winterwind
Durchfröstelt uns trotz alledem!...
Das ist die Bourgeoisie am Thron -
Der annoch steht, trotz alledem!...
Die Waffen, die der Sieg uns gab,
Der Sieg des Rechts trotz alledem,
Die nimmt man sacht uns wieder ab, ...
Trotz Parlament und alledem -"

Einen Monat später entstand das wohl bedeutendste Gedicht aus jener bewegten Zeit: ,,Die Toten an die Lebenden". Je weniger die politische Entwicklung Freiligraths Erwartungen entsprach, desto trotziger wurden seine Verse. Das Gedicht umspannt vier Monate Revolutionsgeschehen. Die Lebenden, an die sich die Toten wenden, haben nach dem Urteil des Dichters inzwischen vieles von dem ,,verscherzt, ... verlottert und verloren", was in den blutigen Märzkämpfen errungen worden war. Doch Hoffnung sollte bleiben wie ,,der Grimm, der rote Grimm, im Lande": ,,Er blieb euch! ja, und er erwacht! er wird und muß erwachen! 1 Die halbe Revolution zur ganzen wird er machen!"

Freiligrath wurde zum ,,Trompeter der Revolution", zum populärsten Dichter Deutschlands. Die poetische Mahnung der Toten, in tausenden Flugblättern verbreitet, löste am Berliner Hof derartige Empörung aus, daß die preußische Justiz Anklage gegen den Dichter erhob. Am 28. August 1848 wurde er in Düsseldorf vom Instruktionsrichter vorgeladen und nach kurzem Verhör in das Arresthaus abgeführt. Er habe "durch sein Gedicht ,Die Toten an die Lebenden' den Artikel 102 des Code pénal übertreten, d. h. die Bürger unmittelbar zum Bürgerkriege, zur Verheerung, Plünderung u. dgl. angereizt". Einen Monat saß der Dichter in Untersuchungshaft.

Nach einem sensationellen Prozeß wurde er freigesprochen, denn die Geschworenen hielten ihn nicht für schuldig.

Am 12. Oktober erschien die Neue Rheinische Zeitang mit der fettgedruckten Notiz in der Kopfleiste, daß Ferdinand Freiligrath in die Redaktion eingetreten sei. Auf Einladung von Karl Marx war er nach Köln übergesiedelt. In politischen Grundfragen gab es zwischen ihm und dem Chefredakteur völlige Übereinstimmung. In den Folgemonaten erlitt die revolutionäre Demokratie immer neue, bittere Niederlagen, doch Freiligraths streitbares Engagement blieb ungebrochen. Ergreifende Verse widmete er dem Gedenken des Paulskirchen-Abgeordneten Robert Blum, der in Wien exekutiert worden war.

Im Mai 1849 mußte die Neue Rheinische Zeitung ihr Erscheinen einstellen. Freiligraths berühmtes "Abschiedswort" klang dessen ungeachtet noch immer optimistisch ebenso wie das letzte bewegende Gedicht "Die Revolution", das er zwei Jahre später schrieb. "Sie ist nicht tot!", behauptete darin der Dichter, denn ihre historische Mission dürfe nicht unerfüllt bleiben:

"...Ich war, ich bin - ich werde sein! Ich werde sein, und wiederum voraus den Völkern werd ich gehn!
Auf eurem Nacken, eurem Haupt, auf euren Kronen werd ich stehn!"

Mit diesem Gedicht endete die fruchtbarste Periode im poetischen Schaffen Freiligraths. Im Mai 1851 ging er mit Frau und vier Kindern zum zweitenmal ins Londoner Exil, nachdem Friedrich Wilhelm IV. einen Kommunistenprozeß angeordnet hatte. Der König wollte seinem Volk "das lange und gerecht ersehnte Schauspiel eines aufgedeckten und (vor allem) bestraften Komplotts" aufführen lassen. Freiligrath wurde steckbrieflich verfolgt.

Die politischen und sozialen Verhältnisse, unter denen der Dichter und seine Familie nun leben mußten, waren nicht geeignet, bedeutende poetische Leistungen zu motivieren. Den Lebensunterhalt verdiente er im wesentlichen als Buchhalter, ,,nebenbei aber auch" als ,,Portier, Briefkopist, Wechselausträger etc. etc.", wie er einmal sarkastisch klagte.

Freundschaftlichen Verkehr pflegte er mit Marx, der ebenfalls nach London emigriert war. Doch der Dichter suchte auch Kontakt zu anderen deutschen Flüchtlingen, die in der britischen Metropole lebten. Für die Schärfe und Unversöhnlichkeit der politischen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Exilantenkreisen empfand er wenig Sympathie. Schon gar nicht zu haben war er für ,,Amnestiewütigkeit und Heimwehbläserei", denn dafür boten die politischen Verhältnisse in Deutschland keinen Anlaß. Die von Prinzregent Wilhelm in Preußen proklamierte ,,Neue Ära" wertete er als einen ,,liberalen Unteroffiziersschwindel". Der ,,Revolutionär" könne sich ,,einstweilen nirgends mit Anstand begraben lassen als im Exil".

Hingegen hatte er keine Bedenken, sich 1859 an einer Feier zum 100. Geburtstag von Friedrich Schiller zu beteiligen. Mit Recht würde man, so meinte er, es unbegreiflich finden, wenn er als deutscher Poet sich ausschließen wollte, obwohl die Sache, wie er Marx zugestand, wegen der politischen Cliquenwirtschaft ihr Bedenkliches habe. Doch darauf mochte der Dichter keine Rücksicht nehmen. Marx hatte von; einer Teilnahme abgeraten.

Die freundschaftlichen Beziehungen zwischen beiden hatten sich im Laufe der Jahre spürbar gelockert. Den ,,Bund der Kommunisten", dem der Dichter an führender Stelle angehört hatte, gab es seit 1852 nicht mehr. Und für die sozialökonomischen Studien und politischen Ziele von Marx brachte Freiligrath wenig Interesse auf. Seine Teilnahme an der Schillerfeier ermunterte einen Emigrantenkreis, der sich um den Literaturprofessor Gottfried Kinkel, einen Helden der 49er Revolution, geschart hatte, zwischen den Dichter und Marx einen Keil zu treiben. Freiligrath distanzierte sich von diesen Intrigen nur lau. Marx beklagte in einem Brief an Friedrich Engels, ,,wie falsch und zweideutig er sich vom Parteistandpunkt wie vom persönlichen benimmt".

Als sich dann Freiligrath auch noch weigerte, für Marx Partei zu ergreifen, nachdem dieser von dem Professor Karl Vogt, einem 48er Demokraten, verleumdet worden war, erreichte die Abkühlung ihren Tiefpunkt. Ihn belegt der vielzitierte Brief Freiligraths an Marx: ,,Auch die Partei ist ein Käfig, und es singt sich, selbst für die Partei, besser draus als drin." Weniger zitiert werden Freiligraths Beteuerung, er habe sein persönliches Verhältnis zu Marx, ,,dem Freunde und Gesinnungsgenossen"' aufrechterhalten und der Satz: ,,Ich bin Dichter des Proletariats und der Revolution gewesen, lange bevor ich Mitglied des Bundes [der Kommunisten] und Mitglied der Redaktion der Neuen Rheinischen Zeitung war." Daraus darf man folgern, daß Freiligrath wie Marx unter Partei" eine Position ,,im großen historischen Sinn" verstand, von der er sich nicht distanzieren wollte.

Daran änderte sich auch nichts, als ihm die deutsche Nation 1868 eine ehrenvolle Dotation von nahezu 60000 Talern zukommen ließ. Im Jahr zuvor hatten Freunde aus Deutschland und dem Ausland in der Gartenlaube zu einer Spende aufgerufen, um dem Emigranten die Rückkehr in die Heimat zu ermöglichen Freiligrath verstand die Dotation als ,,Nationaldank", zeigte sie ihm doch, wie populär er trotz der langen Exiljahre geblieben, wie lebendig die Erinnerung auch und gerade an seine politische Dichtung noch immer war. Denn die war gemeint, wenn im Spendenaufruf besonders betont wurde, daß der Dichter seine Wahrheit und seine Überzeugung nie verleugnet habe.

Nach seiner Rückkehr im Jahre 1868 siedelte er sich jedoch nicht im geliebten Rheinland an, denn das gehörte zum preußischen Staat, der es selbst nach der von König Wilhelm I. im Januar 1861 erlassenen Amnestie nicht über sich gebracht hatte, die gegen den Dichter ausgestellten Steckbriefe auch formell aufzuheben. Freiligrath wählte das Schwabenland, Stuttgart und zuletzt Cannstatt, als ständigen Wohnsitz.

Sein poetisches Talent weckte noch einmal der deutsch-französische Krieg 1870171. Freiligrath fühlte ,,als Demokrat" und ,,Deutscher doppelt stark gegen Napoleon [III.]". Da nach der französischen Kriegserklärung im deutschen Volk der Feldzug als gerecht empfunden wurde und Begeisterung geweckt hatte, widmete der Dichter den Deutschen seine ,,Hurra, Germania!"-Verse' gerichtet gegen einen "Räuber", der den Deutschen ,,das Schwert frech in die Hand gedrückt!" habe.

Wie tief den Dichter freilich die Opfer dieses Krieges bewegten, verrät sein Gedicht über das Gemetzel in der Schlacht von Gravelotte. Den neudeutschen Reichspatriotismus feierte er mit keinem Wort. Im Gegenteil, Freiligrath wollte "über den Patriotismus" stets die ,,Menschlichkeit" gestellt wissen. Das galt auch für die deutsche Einheit von 1871: ,,Daß ich aber das ,Reich', wie es aus dem Kampfe hervorgegangen ist, für das Höchste halten sollte..., das ... fällt mir nicht ein."

Als Freiligrath am 18. März 1876 starb, betrauerte ihn das deutsche Volk, wie es im Nachruf der Berliner National-Zeitung hieß, als einen Dichter, der "bis in den Tod treu und unerschüttert in seiner Gesinnung und in seinen Hoffnungen geblieben", der, so eine andere Würdigung, im Kampf "um die Freiheit ... erster Bannerträger" gewesen ist.