"Ich
weiß nicht, was soll es bedeuten, .."
Loreley-Gedichte
Lore Lay
Zu Bacharach am Rheine
wohnt` eine Zauberin;
die war so schön und feine
und riß viel Herzen hin.
Und brachte viel zu Schanden
der Männer ringsumher;
aus ihren Liebesbanden
war keine Rettung mehr.
Der Bischof ließ sie laden
vor geistliche Gewalt -
und mußte sie begnaden,
so schön war ihr` Gestalt.
Er sprach zu ihr gerührt:
"Du arme Lore Lay,
wer hat dich denn verführet
zu böser Zauberei?"
"Herr Bischof, mit mir Armen
treibt nicht so bösen Spott
und bittet um Erbarmen
für mich den lieben Gott.
Ich darf nicht länger leben,
ich liebe keinen mehr -
den Tod sollt ihr mir geben,
drum kam ich zu Euch her!
Mein Schatz hat mich betrogen,
hat sich von mir gewandt,
ist fort von mir gezogen,
fort in ein fremdes Land."
Drei Ritter läßt er holen:
"bringt sie ins Kloster hin!
Geh, Lore! - Gott befohlen
sei dein bedrückter Sinn!"
Zum Kloster sie nun ritten,
die Ritter alle drei,
und traurig in der Mitten
die schöne Lore Lay.
"O Ritter, laßt mich gehen
auf diesen Felsen groß!
Ich will noch einmal sehen
nach meinem Lieben Schloß.
Ich will noch einmal sehen
wohl in den tiefen Rhein
und dann ins Kloster gehen
und Gottes Jungfrau sein."
Der Felsen ist so jähe,
so steil ist seine Wand;
doch klimmt sie in die Höhe,
bis daß sie oben stand.
Es binden die drei Ritter
die Rosse unten an
und klettern immer weiter
zum Felsen auch hinan.
Die Jungfrau sprach: "Da gehet
ein Schifflein auf dem Rhein;
der in dem Schifflein stehet,
der soll mein Liebster sein.
Mein Herz wird mir so munter,
er muß mein Liebster sein!"
Da lehnte sie sich hinunter
und stürzte in den Rhein.
Die Ritter mußten sterben,
sie konnten nicht hinab;
sie mußten all verderben,
ohn Priester und ohn Grab.
Wer hat dies Lied gesungen?
Ein Schiffer auf dem Rhein,
und immer hats geklungen
von dem Dreiritterstein:
Lore Lay
Lore Lay
Lore Lay
Als wären es meiner drei.
Clemens Brentano
Lorelei
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
daß ich so traurig bin;
ein Märchen aus alten Zeiten,
das kommt mir nicht aus dem Sinn.
Die Luft ist kühl und es dunkelt,
und ruhig fließt der Rhein;
der Gipfel des Berges funkelt
im Abendsonnenschein.
Die schönste Jungfrau sitzet
dort oben wunderbar,
ihr goldnes Geschmeide blitzet
sie kämmt ihr goldenes Haar.
Sie kämmt es mit goldenem Kamme
und singt ein Lied dabei;
das hat eine wundersame,
gewaltige Melodei.
Den Schiffer im kleinen Schiffe
ergreift es mit wildem Weh,
er schaut nicht die Felsenriffe,
er schaut nur hinauf in die Höh.
Ich glaube, die Wellen verschlingen
am Ende Schiffer und Kahn;
und das hat mit ihrem Singen
die Lorelei getan.
Heinrich Heine
Waldgespräch
Es ist schon spät, es wird schon kalt,
was reitest du einsam durch den Wald?
Der Wald ist lang, du bist allein,
du schöne Braut! Ich führ dich heim!
"Groß ist der Männer Trug und List,
vor Schmerz mein Herz gebrochen ist,
wohl irrt das Waldhorn her und hin,
o flieh! Du weißt nicht, wer ich bin."
So reich geschmückt ist Roß und Weib,
so wunderschön der junge Leib!
Jetzt kenn ich dich-Gott steh mir bei!
Du bist die Hexe Loreley.
"Du kennst mich wohl - vom hohen Stein
schaut still mein Schloß tief in den Rhein.
Es ist schon spät, es wird schon kalt;
kommst nimmermehr aus diesem Wald!"
Joseph von Eichendorff
In
der Sonnengasse
In der Sonnengasse zu St. Goar,
da kämmt sich die Resi ihr schwarzes Haar.
Sie lacht in den Spiegel verstohlenen Blicks,
silbern über ihrem Bett hängt ein Kruzifix;
ihr Pantöffelchen klappert, ihr Schnürleib kracht;
Heute Nacht! Heute Nacht!
In der Sonnengasse zu St. Goar,
da wohnt schräg gegenüber ein junger Scholar,
der pfropft sich in den Schädel lauter dummes Zeug,
schwarz auf seinem Pult liegt das Pentateuch.
Da streift ihn die Sonne, und sein Leder kracht:
Heute Nacht! Heute Nacht!
Arno Holz
Der Handstand auf der Loreley
(nach einer wahren Begebenheit)
Die Loreley, bekannt als Fee und Felsen,
ist jener Fleck am Rhein, nicht weit von Bingen,
wo früher Schiffer mit verdrehten Hälsen,
von blonden Haaren schwärmend, untergingen.
Wir wandeln uns. Die Schiffer inbegriffen.
Der Rhein ist reguliert und eingedämmt.
Die Zeit vergeht. Man stirbt nicht mehr beim Schiffen,
nur weil ein blondes Weib sich dauernd kämmt.
Nichtsdestotrotz geschieht auch heutzutage
noch manches, was der Steinzeit ähnlich sieht.
So alt ist keine deutsche Heldensage,
daß sie nicht doch noch Helden nach sich zieht.
Erst neulich machte auf der Loreley
hoch überm Rhein ein Turner einen Handstand!
Von allen Dampfern tönte Angstgeschrei,
als er kopfüber oben auf der Wand stand.
Er stand, als ob er auf dem Barren stünde,
mit hohlem Kreuz und lustbetonten Zügen.
Man fragte nicht: Was hatte er für Gründe?
Er war ein Held, das dürfte wohl genügen.
Er stand verkehrt im Abendsonnenscheine.
Da trübte Wehmut seinen Turnerblick.
Er dachte an die Loreley von Heine
und stürzte ab. Und brach sich das Genick.
Er starb als Held. Man muß ihn nicht beweinen.
Sein Handstand war vom Schicksal überstrahlt.
Ein Augenblick mit zwei gehobnen Beinen
ist nicht zu teuer mit dem Tod bezahlt.
P. S. Eins wäre allerdings noch nachzutragen;
Der Turner hinterließ uns Frau und Kind.
Hinwiederum, man soll sie nicht beklagen,
weil im Reich der Helden und der Sagen
die Überlebenden nicht wichtig sind.
Erich Kästner
Meine
Loreley
Meine Schwester hat sich ertränkt
warum ist es am Rhein so
schön die Loreley zu sehn
mit dem Abwasser angeschwemmt
nach einer langen Nacht
bei einem Wirte wundermild
kämmt sie ihr weißes Haar da
war sie jüngst zu Gast als
er sie angefaßt mit
mit seinem süßen Mund und
zehn Elektroschocks kühl
in ihr Hirn gebrannt
und das hat mit ihrem Singen
die Loreley getan
Ars
poetica
Danke ich brauche keine neuen
Formen ich stehe auf
festen Versfüßen und alten
Normen Reimen zu Hand
zu Papier und zu euren
Ohren bring ich was klingen soll
klingt mir das Lied aus den
Poren rinnen die Zeilen voll
und über und drüber und drunter
und drauf und dran und wohlan
Ulla Hahn
Hochseil
Wir
turnen in höchsten Höhen herum,
selbstredend und selbstreimend,
von einem Individuum
aus nichts als Worten träumend.
Was uns bewegt - warum? wozu? -
den Teppich zu verlassen?
Ein nie erforschtes Who-is-who
im Sturzflug zu erfassen.
Wer von so hoch zu Boden blickt,
der sieht nur Verarmtes, Verirrtes.
Ich sage: wer Lyrik schreibt, ist verrückt,
wer sie für wahr nimmt, wird es.
Ich spiel mit meinem Astralleib Klavier,
vierfüßig - vierzigzehig -
Ganz unten am Boden gelten wir
für nicht mehr ganz zurechnungsfähig.
Die Loreley entblößt ihr Haar
am umgekippten Rheine...
Ich schwebe graziös in Lebensgefahr
grad zwischen Freund Hein und Freund Heine.
Peter Rühmkorf
Lorelei
1982
Unter dem Rhein
singt die Lorelei
Fische
verschweigen das Lied
Ein hellhöriger Angler
fängt es heraus
schenkt es
uns allen
Rose Ausländer
Die
Toreloreliese
1984
Hoch, hoch über Feld und Wiese
thront die Toreloreliese
und jedes Wesen unter Zwang
lauscht stocksteif dem Gesang.
Einstmals fürchtete sie jeder sehr
jetzt ist es schon lange her
daß von Toreloreliesen
Toren sich beloren ließen
locket mit dem schönen Schiff
auf ein unsichtbares Riff
um dort grausam zu verlieren
was schon Schulkinder kapieren.
Heut noch weckt allein der Name
Furcht vor dieser Circendame
denn noch immer macht das Torelorelieseflüstern
lose Toren lieselüstern.
Cornelis Buddingh