Guillaume Apollinaire: Rheinische Gedichte  
(Übersetzungen von Jürgen Helbach)

Inhalt

Rheinische Nacht

Marizibill

Herbstliches Rheinlied

Die Tannen

Die Frauen

Die Synagoge

Mai

Die Glocken

 

Rheinische Nacht

In meinem vollen Glase leuchtet flammengleich der Wein
Höret wie ein Schiffer sanft erzählt in seinem Sang
Erzählt von sieben Frauen die er gesehn im Mondenschein
Flechtend ihr grünes Haar bis an die Füße lang

Stehet auf singet lauter und fangt den Rundtanz an
Daß ich nicht mehr das Lied des Schiffers hör
Alle blonden Mädchen holt an meine Seite dann
Mit tiefem Blick und das Haupt von Zöpfen schwer

Der Rhein, der Rhein ist trunken von dem sich spiegelnden Wein
Und alles Gold der Nächte versinkt in seinem Wellenschlagen
Doch immer noch ertönt der Stimme Todespein
Von grünbehaarten Feen die Zaubernacht erschlagen

Mein Glas zersprang wie eines Gelächters Schrei‘n

 

Marizibill

In der Hohen Straße zu Köln
ging sie jeden Abend auf den Strich
Bietet sich allen putzig geschmückt
Dann trank sie vom Gewerbe erschöpft
Sehr spät in dunklen Kaschemmen ihr Bier

Sie legte sich auf' s Stroh
für einen rothaarigen Luden
einen Juden nach Knoblauch stinkend
Er kam von Formosa
Brachte sie mit aus einem Bordell von Shanghai

Ich kenne alle Sorten von Leuten
Sie gleichen nicht ihren Geschicken
Schwankend wie tote Blätter
Ihre Augen sind kaum gelöschte Feuer
Ihre Herzen sind offen wie ihre Türen

 



HERBSTLICHES RHEINLIED

Für Toussaint Luca

Die Kinder der Toten gehen spielen
Auf den Friedhof
Martin Gertrude Hans und Heinrich
Heut hat kein Hahn gekräht
Kikeriki

Die alten Frauen
weinend kommen sie des Weges
Und die braven Esel
Schreien iah und Fressen mit Genuss die Blumen
von den Kränzen

Es ist der Tag der Toten und aller ihrer Seelen
Die Kinder und alten Frauen
Zünden die Lichter und die Kerzen an
Auf jedem katholischen Grab
Die Schleier der Alten
Die Wolken des Himmels
Sind gleich den Bärten der Ziegen

Die Luft erzittert von Flammen und Gebeten
Der Friedhof ist ein schöner Garten
Voll grauer Weiden und Rosmarin
Zu oft stehts an der Freunde zu begraben
Doch! Ihr habt es gut auf diesem schönen Friedhof
Ihr Bettler krepiert am Suff des Biers
Ihr Blinden hingerafft wie vom Geschick bestimmt
Und ihr kleinen Kinder gestorben im Gebet

Doch! Ihr habt's gut hier auf dem schönen Friedhof
Ihr  Bürgermeister und ihr Schiffer
Und ihr Regierungsbeamten
Ihr auch Zigeuner ohne Papiere
Das Leben vermodert in eurem Wanst
Das Kreuz wächst aus euren Füßen

Der Wind des Rheins heult mit allen Eulen
Er löscht die Kerzen die die Kinder stets erneut entzünden
Und die toten Blätter
Decken langsam die Toten zu

Tote Kinder reden manchmal mit ihrer Mutter
Und tote Frauen möchten manchmal doch zurück
0 ich will nicht dass du gehst
Der Herbst ist voll abgeschnittener Hände
Nein nein es sind nur tote Blätter
Das sind die Hände der teuren Toten

Das sind deine abgeschnittenen Hände

Wir haben heute so viel geweint
Mit diesen Toten ihren Kindern und den alten Frauen
Unterm Himmel ohne Sonnenschein
Auf dem Friedhof voll von Flammen

Dann sind wir im Winde wieder heimgekehrt

Uns zu Füßen rollten Kastanien
Ihre Stachelschalen waren
Wie das verwundete Herz der Madonna
Und man fragt sich, ob ihre Haut gleicht

der Farbe von Kastanien zur Herbstzeit   

 

DIE TANNEN

Die Tannen mit ihren spitzen Mützen
In Kleidern bis zum Boden lang
Sind wie die Astrologen
Grüßen ihre gefällten Brüder
Die Schiffe auf dem Rhein dahintreiben

In die sieben Künste eingewiesen
Durch die alten Tannen ihre Ahnen
Die große Dichter sind
Sie wissen sich bestimmt
Zu glänzen mehr als die Planeten

Zu glänzen doch verwandelt sacht
In Sterne und eingeschneit
An frohen Weihnachtsfesten
Fest der verträumten Tannen
Mit langen sehnsuchtsvolles Ästen

Als gute Musiker die Tannen
Singen von alten Weihnachtszeiten
Im Wind des anbrechenden Herbstes
Und auch als große Zauberer
Beschwören sie den Himmel wenn er grollt

Reihen weißer Cherubim
Ersetzen im Winter die Tannen
Und schwenken ihre Flügel
Im Sommer sind sie große Rabbiner
Als auch alte Fräuleins

Tannen als wandernde Ärzte
Bieten ihre heilsamen Salben an
Wenn das Gebirge niederkommt
Von Zeit zu Zeit im Sturmeswind

Eine alte Tanne stöhnt und legt sich nieder

 

DIE FRAUEN

Im Haus des Winzers die Frauen nähen
Lenchen füll den Ofen stell Kaffeewasser
darauf   Die Katze reckt sich sie hats jetzt schöne warm
  Gertrud und Martin ihr Nachbar heiraten nun doch


Die blinde Nachtigall fing fast zu singen an
Doch beim Eulenschrei erzitterte sie in ihrem Käfig
Die Zypresse dort drüben sieht aus wie der Papst auf Reisen
Im Schnee   Grad ist der Briefträger angekommen

Und hält ein Schwätzchen mit dem neuen Schulmeister
  Der Winter ist sehr kalt das gibt einen guten Wein
  Der Küster -taub und hinkend- liegt im Sterben
  Die Tochter des alten Bürgermeisters stickt eine Stola

Zum Namenstag des Pfarrers Der ferne Wald
Sang im Wind mit der tiefen Stimme der großen Orgel
den Albtraum Nun kamen Herr Traum mit seiner Schwester Frau Sorge
Käthi du hast ihn nicht gut gestopft diesen Strumpf

 Bring Kaffee Butter und Brotschnitten
Marmelade Schmalz und den Milchtopf
  noch etwas Kaffee Lenchen bitte
  Man könnte meinen der Wind spräche Latein

  noch etwas Kaffee Lenchen bitte
 Lotte bist du traurig kleines Herz   Ich glaub Sie ist verliebt
  Gott bewahre   Ich für mein Teil liebe nur mich
  Ruhe Großmutter betet ihren Rosenkranz

  Ich brauch Kandiszucker Leni ich huste
  Peter mit seinem Frettchen gehn auf Kaninchenjagd
Der Wind lässt alle Tannen in der Runde tanzen
Lotte die Liebe macht traurig   Ilse das Leben ist süß

Die Nacht begann Weinberge mit knorrigen Reben
Sahen in der Dunkelheit wie Beinhäuser aus
Im Schnee und breiteten ihere Leichentücher aus
Und Hunde bellten die erschrockenen Passanten an

Er ist gestorben horcht Die Kirchenglocke
verkündete ganz sanft den Tod des Küsters
Liese du musst den Ofen schüren er geht gleich aus
Die Frauen bekreuzten sich in der dämmernden Nacht

 

DIE SYNAGOGE

Ottomar Scholem und Abraham Loeweren
Bedeckt mit grünen Filzhüten am Morgen des Sabbats
Gehen zur Synagoge entlang dem Rhein
Und seinen Hügeln wo die Reben erröten

Sie streiten und schrein was man zu übersetzen sich scheut
Bastard in der Regel gezeugt der Teufel hol deinen Vater
Der alte Rhein hebt sein feuchtes Haupt und wendet lachend sich zur Seite
Ottomar Scholem und Abraham Loeweren sind zornig heute

Weil man doch am Sabbat nicht rauchen darf
Während sich die Christen die Zigarre anzünden
Und dann lieben Ottomar und Abraham doch beide
Lia die mit den Schafsaugen und deren Bauch schon leicht wächst

Dennoch gleich in der Synagoge einer nach dem andern
Werden sie die Thora küssen und ihre schönen Hüte lüften
Unter den Zweigen des Laubhüttenfestes
Und Ottomar lächelt freundlich beim Singen Abraham zu

Sie werden singen ohne Halt und die tiefen Männerstimmen
Werden Leviathan in der Tiefe des Rheins stöhnen lassen wie des Herbstes Stimme
Und in der Synagoge voll von Hüten wir man bewegen die Lulabim
Hanoten ne Kamoth bagoim tholahoth baleumim



MAI

Der Mai der schöne Mai im Nachen auf dem Rhein
Frauen schauten herab von Bergeshöhen
Ihr seid so schön jedoch der Kahn muss entfliehn
Wer nur lässt die Uferweiden weinen in ihrer Pein

Nun erstarrten hinter uns die blühenden Obstgärten
Die gefallenen Blütenblätter der Kirschbäume des Mais
Sind ihre Fingernägel die ich einst so geliebt
Verwelkte Blütenblätter sind wie ihre Augenlider

Auf dem Uferweg entlang dem Strom säumig
Ein Bär ein Affe ein Hund von Zigeunern geleitet
Folgten mit Karren den ein Esel zog
Während in den Weinbergen des Rheins entlang
Mit ferner Fanfarenklang ein Regiment entschwand

Der Mai der schöne Mai hat geschmückt die Ruinen
Mit Efeu mit wildem Weine und Heckenrosen
Der Wind vom Rheine schüttelt die Uferweiden

Das schwatzende Schilf und die nackten Blüten des Weins.


DIE GLOCKEN

Mein schöner Zigeuner mein Liebster
Höre die Glocken die läuten
Voller Leidenschaft liebten wir uns
Glaubten von niemand gesehen zu sein

Aber wir waren doch schlecht verborgen
Alle Glocken in der Runde
Haben uns gesehen von ihren hohen Türmen
Und sagen es allen Leuten

Morgen Cyprien und Heinrich
Maria Ursula und Katharina
Der Bäckersfrau und ihrem Mann
Und dann Gertrude meiner Cousine

Sie werden lachen wenn ich vorbeigehe
Ich werde nicht wissen wohin mich zu wenden
Du wirst fern sein ich werde weinen

Vielleicht an unserer Liebe sterben

 

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