1 Zur Geschichte der Zelle und des Stiftes zu St. Goar

Höhepunkt der Baugeschichte der Stiftskirche war der große Umbau, der 1444 von Graf Philipp von Katzenelnbogen (reg. 1444-1479) veranlaßt wurde. In mühevoller Arbeit wurde das Langhaus aufgebaut und zeigte sich nach seiner Ausgestaltung in einer Pracht, von der die Kirche heute nur noch zaghaft Zeugnis geben kann. Aber wir müssen zuerst noch etwa 650 Jahre zurückgehen, in die Zeit, als König Pippin die Zelle des hI. Goar dem Prümer Abt Assuer zur persönlichen Nutzung überließ.

1.1. Die karolingische Zeit bis ins späte Mittelalter

Nach der Tätigkeit des heiligen Goar am Mittelrhein im 6. Jahrhundert führten Kleriker seine Arbeit in der Marienkapelle und im Hospiz weiter. Vermutlich auf der Rcichsversammlung zu Attigny (765) verlieh König Pippin die Zelle des Goar dem Prümer Abt Assuer zur persönlichen Nutzung auf Lebenszeit. König Karl der Große wandelte um 782 die persönliche Schenkung Pippins in eine Schenkung an die Abtei Prüm um. Diese Schenkungen deuten darauf hin, daß es sich um Königsgut handelte: Der König war Eigenkirchherr und konnte die Kirche mit ihrem Zubehör verkaufen, verpfänden und verschenken. Eigenkirchherr wurde nun der Prümer Abt. Mit der Schenkung waren Rechte, aber auch Ptlichtcn verbunden. Die Abtei erhielt die Einkünfte aus der Wirtschaftskraft der Goarszelle und mußte im Gegenzug eine Schutz- und Untcrhaltspflicht eingehen sowie für den seelsorgerlichen und gottesdienstlichen Dienst Sorge tragen. Diesen Pflichten konnte der Eigenkirchherr nur nachkommen, wenn die Stiftung mit Grund und Einkünften ausgestattet war. Mit den Einkünften wurden die Kleriker, es waren beim Übergang der Goarszelle an Prüm sechs, versorgt. Wurden Überschüsse erwirtschaftet, konnten diese in den weiteren Aufbau des Stiftsgutes investiert werden. In den folgenden Jahrhunderten wurden der Zelle eine Reihe von Schenkungen zugedacht. St. Goar entwickelte sich zu einem der drei Hauptsitze des Prümer Abts. Im 11. Jahrhundert begegnet uns ein Kollegiatsstift mit zwölf Kanonikaten und neun Vikarien. An der Spitze des Kollegiums stand der Dekan.

Im ausgehenden 11. Jahrhundert war der Vermögensstand der Zelle schlecht. ,,Der Prümer Abt Wolfram stellte 1089 fest, die Kanoniker des hl. Goar hätten unter der Verachtung und Bedrückung der Leute aus der Umgebung (a cunctis provincialibus) seit langem zu leiden und ihren Unterhalt nur unregelmäßig - so wie Gott es in einem Jahr habe wachsen lassen - nicht besser als Ochsentreiber erhalten. Der Abt wollte Abhilfe schaffen und schenkte der Klerikergemeinschaft das Dorf Nochern. Zeuge dieser Schenkung war Dieter von Katzenelnbogen, der Vogt des Ortes.

Zur Wahrnehmung der weltlichen Amtsgeschäfte wurden vom Abt Vögte eingesetzt, die gerichtliche Anwälte des Klosters und Beschützer seiner weltlichen Belange waren. Als erste Vögte begegnen uns die Grafen von Amstein. Die Grafen von Katzenelnbogen wurden kurz nach dem Tod des Grafen Ludwig III. von Amstein (V 1185) mit der Vogtei über St. Goar belehnt. Im späten Mittelalter gelang es den Katzenelnbogener Grafen, die Prümer Stellung immer stärker abzubauen. War bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts allein der Abt von Prüm berechtigt, Kanonikate und Vikarien zu besetzen, änderte sich dies nun durch besondere Verträge, die 1408 und 1449 zwischen dem Prümer Abt und den Grafen von Katzenelnbogen geschlossen wurden. 1408 überließ der Prümer Abt den Grafen von Katzeneinbogen das Besetzungsreeht der Hälfte der Kanonikate und Vikarien, wohl in der Hoffnung, daß das Grafenhaus für die bessere Versorgung des Stiftes sorgen würde. 1449 schließlich verkaufte der Prümer Abt Johann dem Grafen Philipp von Katzenelnbogen die Rechte der Abtei an St. Goar. Das Stift gehörte somit zum Herrschaftsgebiet der Grafen von Katzenelnbogen und fiel 1479 durch Erbfolge an die Landgrafen von Hessen.

1.2. Das Zeitalter der Reformation

1517 veröffentlichte Dr. Martin Luther seine 95 Thesen. In ihnen setzte er sich kritisch mit dem Buß- und Ablaßwesen der Kirche auseinander. Luther wollte keine neue Kirche gründen, sondern die bestehende von der Heiligen Schrift her reformieren. Seinen Reformversuchen wurde jedoch von der römischen Kirche eine klare Absage erteilt, indem er 1521 exkommuniziert wurde und damit auch der Reichsacht verfiel. In Kurfürst Friedrich von Sachsen hatte er jedoch einen starken Rückhalt, so daß die Sanktionen nicht zur Durchführung kamen.

Landgraf Philipp von Hessen hat sieh 1524 als erster deutscher Fürst zur Reformation bekannt. Auf der Homberger Synode von 1526 wurden Schritte zur Durchführung der Reformation beschlossen (Hessische Reformationsordnung). 1527 beauftragte der Landgraf den Theologieprofessor Adam Krafft mit der Durchführung einer Visitation in der Niedergrafsehaft Katzeneinbogen und zeigte diese am 18. Oktober dem Oberamtmann der Grafschaft an. Adam Krafft kam am 1. November 1527 nach St. Goar. Der mit nach St. Goar kommende Pfarrer Gerhard Eugenius Ungefug legte der Pfarrerschaft die Richtlinien der Kirchenreform vor, u. a. sollte der Gottesdienst nach Luthens ,,Deutscher Messe" gefeiert und die Wallfahrten eingestellt wenden. Am 1. Januar 1528 hielt Gerhard Eugenius Ungefug die erste evangelische Predigt in der Stiftskirehe.

Da das Stift als rechtliche Körperschaft nicht aufhörte, konnte der Landgraf nur üben die Kanonikate oder Vikarien verfügen, denen Inhaber verzichteten oder verstarben. Es dauerte noch einige Jahrzehnte, bis das Stiftskapitel erlosch. Die freiwerdenden Mittel wurden nun zweekbestimmt verwendet zur Kirchen- und Sehulunterhaltung und als Stipendien für Studierende. Als Landgraf Philipp 1567 starb, wurde die Landgrafsehaft Hessen unter die vier Söhne aufgeteilt. Die Niedergrafsehaft Katzeneinbogen erhielt sein Sohn Philipp, der als Philipp II. in St. Goar residierte (V 1583) .