Baugeschichte der Stiftskirche zu St. Goar

Als Abt Assuer von Prüm im Jahre 765 die Zelle des Goar zur persönlichen Nutzung erhielt, veranlaßte er mit großer Tatkraft die Errichtung einer neuen Kirche, die spätestens 781 geweiht wurde.

Ende des 11. Jahrhunderts oder Anfang des 12. Jahrhunderts wurden die dreisehiffige Knypta, sie gilt als schönste am Rhein zwischen Köln und Speyer, der Tniumphbogen' die Wände des Chores und wohl auch die Grundmauern den Chorflankentürme errichtet. Die Chortürme und der heutige Chor wurden bis Mitte des 13. Jahrhunderts vollendet.

Ab 1444 nun erfolgte der große Anbau des Langhauses an den Chor. Zur Gesamtanlage urteilt Dehio: ,,Als Hallenkirche mit Emporen steht St. Goar in einer mittelrheinischen Tradition (geographisch zwischen Ahrweiler und Heidelberg), in der sie einen besonderen Höhepunkt bildet." An der nördlichen Außenwand der Kirche sehen wir eine Inschrift, die Graf Philipp von Katzenelnbogen als Initiator des Umbaus ausweist:

Graf Philipp erwies sich als Wohltäter seiner Kirche. Er veranlaßte nicht allein den Umbau, sondern stiftete 1460 einen neuen Altar und stockte auch die Stiftung von zwei weiteren Altären auf. ,,Ambition ging hier Hand in Hand mit Devotion." Das Langhaus der Kirche zeigte sich nach dem Umbau schließlich in großer Pracht. G. A. Benrath schreibt: ,,Das Langhaus der Stiftskirche erscheint wie ein Bildersaal des 15. Jahrhunderts, der uns zur Betrachtung einlädt. Aber wir fassen die Malereien und Skulpturen, die Schlußsteine und die wenigen noch erhaltenen Glasfenster nicht richtig in den Blick, wenn wir sie nicht als das nehmen, was sie von ihrem Ursprung her waren: Zeugnisse der christlichen Frömmigkeit ihrer Zeit, Dokumente jener umfassenden, ununterschiedenen Devotion." Wir sehen eine fast unüberschaubare Fülle von Heiligen, die Fürsprache einlegen sollen für die Sünder. Auch die Beschriftungen weisen in diese Richtung, sie sind Bitten um Fürbitte.

Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Wie wird mir Vergebung den Sünden zuteil? Das folgende Jahrhundert der Reformation sollte diese Fragen in äußersten Schärfe aufgreifen. Die Antwort war jedoch eine andere: Nicht die Heiligen, nicht die Wallfahrten, nicht die Ablässe eröffnen den Weg zu Gott, sondern allein der Glaube an Christus. Gegen die ,,ununterschiedene Devotion" stellte die Reformation ihre drei ,,sola": Vergebung der Sünde ist allein aus Gnade (sola gratia) um Christi willen allein durch den Glauben (sola fide) zu erlangen, ,,wenn wir glauben, daß Christus für uns gelitten hat und daß uns um seinetwillen die Sünde vergeben, Gerechtigkeit und ewiges Leben geschenkt wird". Allein die Heilige Schrift (sola scriptura) ist oberste Richtschnur, weil im Hören auf das Wort das Verständnis des Evangeliums erwächst. Diese neuen Überzeugungen prägten in der Folge auch das Verständnis von Kirche. Kirche ist da, wo das Evangelium gepredigt und die Sakramente der Schrift gemäß gespendet werden. Diese Prinzipien hatten auch Konsequenzen für das Verständnis des Kirchenbaus. Da die Heiligenverehrung und die Wallfahrten konsequenterweise beendet wurden, verlor die Krypta mit dem Grab des heiligen Goar ihre Bedeutung. Auch die Altäre zu Ehren verschiedener Heiligen verloren ihre Funktion. Der Schwerpunkt wurde nun auf die Verkündigung des Evangeliums gelegt. Die reiche Ausstattung war Ausdruck der Frömmigkeit des 15. Jahrhunderts, nicht aber mehr der neuen Zeit. So wurden an der Stiftskirehe neben den nötigen Sanierungsarbeiten auch Umbauten und Veränderungen vorgenommen. Die Frömmigkeit der folgenden Jahrhunderte war eben eine andere. Nach 1731 wurde der Zugang zu den Krypta vom Mittelschiff her zugeschüttet, möglicherweise während den Bauarbeiten im 19. Jahrhundert, als die große Treppe vom Mittelschiff zum Chor eingezogen wurde. Im Umbau von 1843 wurden viele der mittelalterlichen Ausstattungsgegenstände beseitigt, die Malereien wurden übertüncht. Zentrum für den Gottesdienst sollten der (eine) Altar und die Kanzel sein, Wort und Sakrament eine Einheit darstellen. Dem zugeordnet wurde die Orgel auf der Turmempone, die noch heute zur Ehre Gottes erklingt.

Ende des vorigen Jahrhunderts und in unserem Jahrhundert erwachte das historische und kunsthistonische Interesse. Um die Jahrhundertwende wurde das Grabmal Philipps II. restauriert; 1906/07 wurden die Wandmalereien freigelegt; in den 50er Jahren wurde die Krypta renoviert. 1962 konnten die Wandmalereien restauriert werden. Um 1980 fand die große Außenrenovierung den Kirche statt.

Und doch ist in der Stiftskirche wenigstens in Resten die Erstausstattung erhalten geblieben: verschiedene Grabsteine; die Steinkanzel; die Ausmalung; die Glasmalereien im nördlichen und im südlichen Seitenschiff. Erhalten sind auch die Glocken, die 1506 für die Kirche gegossen wurden.

Zwei Kunstwerke aus späterer Zeit sollen aber auch erwähnt sein:

Nach der Reformation wurde im nördlichen Seitenschiff das Grabdenkmal des Landgrafen Philipp II. von Hessen (V 1583) und seiner Frau Anna Elisabeth von Pfalz-Simmern (V 1609) aufgestellt. Die heutige Orgel wurde um 1820 von der Orgelbauerfamilie Stumm in die Kirche eingebaut.

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