Der Rhein in der Lyrik

Die Rheinlandschaft hat ,,ein unersetzliches Panorama, von jedem besungen, der je einen Vers zu schmieden vermochte"
(Heinrich Böll, 1960)

Inhalt

Dort wo der Rhein... (anonaym)
Die Wacht am Rhein (Max Schneckenburger)
Der deutsche Rhein
An Alphons de Lamartine (Nicolaus Becker)
Der deutsche Rhein
Antwort auf das Lied von Becker
(Alfred de Musset)
Protest (Georg Herwegh)
Und als ich an die Rheinbrück kam, (Heinrich Heine)
Kölner Dom (Iwan Goll)
Niederrhein (Willy Bartock)
BUSLADUNGEN (Thomas Kling

 

Guillaume Apollinaire:

La Loreley
 Rhénanes/Rheinische Szenen

Dort, wo der Rhein ...
Dort, wo der Rhein mit seinen grünen Wellen
So mancher Burg bemooste Trümmer grüßt,
Dort, wo die edlen Trauben saft'ger schwellen,
Und kühler Most des Winzers Müh versüßt.
Dort möcht ich sein, dort möcht ich sein,
Bei dir, du Vater Rhein,
An deinen Ufern möcht ich sein.

Ach, könnt ich dort im leichten Nachen schaukeln,
Und hörte dann ein frohes Winzerlied,
Viel schönre Träume würden mich umgaukeln,
Als ferne sie der Sehnsucht Auge sieht.
Dort möcht ich sein, dort möcht ich sein,
Wo deine Welle rauscht,
Wo's Echo hinterm Felsen lauscht.

Dort, wo der grauen Vorzeit schöne Lügen
Sich freundlich drängen um die Phantasie,
Und Wirklichkeit zum Märchenzauber fügen,
Dort ist das Land der schönen Poesie.
Dort möcht ich sein, dort möcht ich sein,
Bei dir, du Vater Rhein,
Wo Sagen sich an Sagen reih'n.

Wo Burg und Klöster sich aus Nebel heben,
Und jedes bringt die alten Wunder mit;
Den kräft'gen Ritter seh ich wieder leben,
Er sucht das Schwert, mit dem er oftmals stritt.
Dort möcht ich sein, dort möcht ich sein,
Wo Burgen auf den Höhn
Wie alte Leichensteine stehn.

Ja, dorthin will ich meinen Schritt beflügeln,
Wohin mich jetzt nur meine Sehnsucht träumt,
Will freudig eilen zu den Rebenhügeln,
Wo die Begeistrung aus Pokalen schäumt,
Bald bin ich dort, bald bin ich dort,
Und du, o Vater Rhein,
Stimmst froh in meine Lieder ein.

Anonym um 1840

Die Wacht am Rhein
Es braust ein Ruf wie Donnerhall,
Wie Schwertgeklirr und Wogenprall:
Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein,
Wer will des Stromes Hüter sein?
Lieb Vaterland, magst ruhig sein,
Fest steht und treu die Wacht am Rhein.

Durch hunderttausend zuckt es schnell,
Und aller Augen blitzen hell:
Der deutsche Jüngling, fromm und stark,
Beschirmt die heil'ge Landesmark.
Lieb Vaterland usw.

Auf blickt er, wo der Himmel blaut,
Wo Vater Hermann nieder schaut,
Und schwört mit stolzer Kampfeslust:
„Du, Rhein, bleibst deutsch, wie meine Brust!“
Lieb Vaterland usw.

„Und ob mein Herz im Tode bricht,
Wirst du doch drum ein Welscher nicht,
Reich wie an Wasser deine Flut,
Ist Deutschland ja an Heldenblut.“
Lieb Vaterland usw.

„Solang ein Tröpfchen Blut noch glüht,
Noch eine Faust den Degen zieht,
Und noch ein Arm die Büchse spannt,
Betritt kein Welscher deinen Strand.“
Lieb Vaterland usw.

Der Schwur erschallt, die Woge rinnt,
Die Fahnen flattern in dem Wind.
Am Rhein, am Rhein, am deutschen Rhein,
Wir alle wollen Hüter sein!
Lieb Vaterland usw.

Max Schneckenburger um 1840

Der deutsche Rhein
An Alphons de Lamartine

Sie sollen ihn nicht haben,
Den freien deutschen Rhein,
Ob sie wie gier'ge Raben
Sich heiser danach schrein,

So lang er ruhig wallend
Sein grünes Kleid noch trägt,
So lang ein Ruder schallend
In seine Woge schlägt!

Sie sollen ihn nicht haben,
Den freien deutschen Rhein,
So lang sich Herzen laben
An seinem Feuerwein;

So lang in seinem Strome
Noch fest die Felsen stehn,
So lang sich hohe Dome
In seinem Spiegel sehn!

Sie sollen ihn nicht haben,
Den freien deutschen Rhein,
So lang dort kühne Knaben
Um schlanke Dirnen frein;

So lang die Flosse hebet
Ein Fisch auf seinem Grund,
So lang ein Lied noch lebet
In seiner Sänger Mund!

Sie sollen ihn nicht haben,
Den freien deutschen Rhein,
Bis seine Flut begraben
Des letzten Manns Gebein!

Nicolaus Becker 1841

Der deutsche Rhein
Antwort auf das Lied von Becker

Wir haben ihn gehabt, den deutschen Rhein.
In unserm Glas sahn wir ihn funkeln.
Mit eures Schlagers Prahlerein
Wollt ihr die stolze Spur verdunkeln,
Die unsrer Rosse Huf grub euch ins Blut hinein?

Wir haben ihn gehabt, den deutschen Rhein.
In seiner Brust klafft eine Wunde.
Das Kleid mit seinem grünen Schein
Zerriß Condé in stolzer Stunde.
Wo Väter eingekehrt, kehrt leicht der Sohn auch ein.

Wir haben ihn gehabt, den deutschen Rhein.
Wo waren die Germanensitten,
Als über eure Länderein
Des mächtgen Kaisers Schatten glitten?
Wo denn liegt eingesargt des letzten Manns Gebein?

Wir haben ihn gehabt, den deutschen Rhein.
Habt ihr das Weltgeschehn vergessen,
So dachten eure Jüngferlein
Um so viel mehr an uns indessen.
Sie füllten uns den Krug mit eurem kleinen Wein.

Gehört er euch denn, euer deutscher Rhein,
Wascht die Livree darin bescheiden;
Doch mäßigt euer stolzes Schrein.
Wieviele Raben, auszuweiden
Den todeswunden Aar, mögt ihr gewesen sein?

Laßt friedlich fließen euern deutschen Rhein;
Er spiegele geruhsam wider
Der Dome gotisches Gestein;
Doch hütet euch, durch trunkne Lieder
Von ihrem blutgen Schlaf die Toten zu befrein.

Alfred de Musset 1841

Protest
Solang ich noch ein Protestant,
Will ich auch protestieren,
Und jeder deutsche Musikant
Soll's weiter musizieren!
Singt alle Welt: Der freie Rhein!
So sing doch ich: Ihr Herren, nein!
Der Rhein, der Rhein könnt freier sein -
So will ich protestieren.

Kaum war die Taufe abgetan,
Ich kroch noch auf den Vieren,
Da fing ich schon voll Glaubens an,
Mit Macht zu protestieren,
Und protestiere fort und fort,
O Wort, o Wind, o Wind, o Wort,
O selig sind, die hier und dort,
Die ewig protestieren.

Nur eins ist not, dran halt ich fest
Und will es nit verlieren,
Das ist mein christlicher Protest,
Mein christlich Protestieren.
Was geht mich all das Wasser an
Vom Rheine bis zum Ozean?
Sind keine freien Männer dran,
So will ich protestieren.

Von nun an bis in Ewigkeit
Soll euch der Name zieren:
Solang ihr Protestanten seid,
Müßt ihr auch protestieren.
Und singt die Welt: Der freie Rhein!
So singet: Ach! Ihr Herren, nein!
Der Rhein, der Rhein könnt freier sein
Wir müssen protestieren.

Georg Herwegh 1841

Und als ich an die Rheinbrück kam, ...

Und als ich an die Rheinbrück kam,
Wohl an die Hafenschanze,
Da sah ich fließen den Vater Rhein
Im stillen Mondenglanze.

„Sei mir gegrüßt, mein Vater Rhein,
Wie ist es dir ergangen?
Ich habe oft an dich gedacht
Mit Sehnsucht und Verlangen"

So sprach ich, da hört ich im Wasser tief
Gar seltsam grämliche Töne,
Wie Hüsteln eines alten Manns,
Ein Brümmeln und weiches Gestöhne:

„Willkommen, mein Junge, das ist mir lieb,
Daß du mich nicht vergessen;
Seit dreizehn Jahren sah ich dich nicht,
Mir ging es schlecht unterdessen.

Zu Biberich hab ich Steine verschluckt,
Wahrhaftig sie schmeckten nicht lecker!
Doch schwerer liegen im Magen mir
Die Verse von Niklas Becker.

Er hat mich besungen, als ob ich noch
Die reinste Jungfer wäre,
Die sich von niemand rauben läßt
Das Kränzlein ihrer Ehre.

Wenn ich es höre, das dumme Lied,
Dann möcht ich mir zerraufen
Den weißen Bart, ich möchte fürwahr
Mich in mir selbst ersaufen!

Daß ich keine reine Jungfer bin,
Die Franzosen wissen es besser,
Sie haben mit meinem Wasser so oft
Vermischt ihr Siegergewässer.

Das dumme Lied und der dumme Kerl!
Er hat mich schmählich blamieret,
Gewissermaßen hat er mich auch
Politisch kompromittieret.

Denn kehren jetzt die Franzosen zurück,
So muß ich vor ihnen erröten,
Ich, der um ihre Rückkehr so oft
Mit Tränen zum Himmel gebeten.

Ich habe sie immer so lieb gehabt,
Die lieben kleinen Französchen -
Singen und springen sie noch wie sonst?
Tragen noch weiße Höschen?

Ich möchte sie gerne wiedersehn,
Doch fürcht ich die Persiflage,
Von wegen des verwünschten Lieds
Von wegen der Blamage.

Der Alfred de Musset, der Gassenbub,
Der kommt an ihrer Spitze
Vielleicht als Tambour, und trommelt mir vor
All seine schlechten Witze."

So klagte der arme Vater Rhein,
Konnt sich nicht zufriedengeben.
Ich sprach zu ihm manch tröstendes Wort,
Um ihm das Herz zu heben:

„Oh, fürchte nicht, mein Vater Rhein,
Den spöttelnden Scherz der Franzosen;
Sie sind die alten Franzosen nicht mehr,
Auch tragen sie andere Hosen.

Die Hosen sind rot und nicht mehr weiß,
Sie haben auch andere Knöpfe,
Sie singen nicht mehr, sie springen nicht mehr,
Sie senken nachdenklich die Köpfe.

Sie philosophieren und sprechen jetzt
Von Kant, von Fichte und Hegel,
Sie rauchen Tabak, sie trinken Bier,
Und manche schieben auch Kegel.

Sie werden Philister ganz wie wir
Und treiben es endlich noch ärger;
Sie sind keine Voltairianer mehr,
Sie werden Hengstenberger.

Der Alfred de Musset, das ist wahr,
Ist noch ein Gassenjunge;
Doch fürchte nichts, wir fesseln ihm
Die schändliche Spötterzunge.


Und trommelt er dir einen schlechten Witz,
So pfeifen wir ihm einen schlimmem,
Wir pfeifen ihm vor, was ihm passiert
Bei schönen Frauenzimmern.

Gib dich zufrieden, Vater Rhein,
Denk nicht an schlechte Lieder,
ein bessere Lied vernimmst du bald -
Leb wohl, wir sehen uns wieder.“

Heinrich Heine, aus: Deutschland - ein Wintermärchen 1844

Kölner Dom

Rheinkohle statt Gold
Die Fische und die nackten Nymphen
Sterben im romantischen Wasser aus
Über die Brücke fahren nur Trauerzüge
In Särgen wird das letzte Gold geschmuggelt
Der Osten exportiert seine Frühsonne
Aurora ist kein Frauenname mehr
Doch paßt er gut für eine Aktiengesellschaft

Wir kamen von Frankreich
Über den Bahnhof hinaus fuhr unser Zug in den Kölner Dom
Die Lokomotive hielt vor dem Allerheiligsten
Und kniete sanft
Zehn Tote kamen direkt ins Paradies
Petrus ,,English spoken" auf dem Ärmel, bekam ein gutes Trinkgeld
Die glasgemalten Engel telephonierten
Und flogen hinüber zur Cox-Bank
Rosa Dollarschecks einzulösen

Gegen Mittag wurde ein neuer Zug gen Warschau gebildet.

Iwan Goll 1924

Niederrhein

Ich will dir
kein verlogenes Loblied mehr singen.
Dein geborgtes Sonnenlicht
soll mich nicht mehr blenden,
dein Reichtümer schleppender Buckel
mich nicht mehr bestechen.

Du bist weit gekommen. Du bist tief gesunken.
Du kamst von heiteren Weinhöhen
und sankst in dumpfe Niederung.
Die Dome und Burgen sind längst
entsetzt stehengeblieben.
Schwefelrauchend, rußrülpsend und ölkotzend
drängen sich Kamine, Waschtürme
und mannsdicke Rohre
an deinen betäubten Strand.

Den toten Fischen will ich einen Nachruf spenden,
die verreckten an dem Gebräu,
das du rechts und links deiner Straße
aus zahllosen Abwässerkanälen säufst.
Deine letzten Töchter, Ruhr, Emscher und Lippe, kriechen,
von dauernder Schändung ermüdet,
in dein schmutziges Altenbett.

Du wehrst dich nicht mehr,
Gewaltiger, Vergewaltigter, Vergifteter.
Deine Sommer stinken zum Himmel.
Deine Winter sind ätzend traurig.
Du benimmst mir den Atem.
Das Meer sträubt sich, dich zu empfangen.
Sogar in Selbstmörderkreisen
verlierst du jeden Kredit:
Wer - wenn er schon sterben will -
will in einer Kloake ersaufen . .

Willy Bartock 1963

BUSLADUNGEN
puttengrün;
geharkter kies, »DER RHEIN IN
FLAMEN!«; das moost so schön,
das west!
betongestützte ritter-
burg, die schlößchen schweinchen-
rosa; bengalisch abends: pavian-
hinterteil;
filzlatschen kellerfarben
(muftige assemblage); der stolze
kastellan! (»den westflügel ham wir
NEU renoviert«, »gesandstrahlt hunger-
türmchen«);
ein hochberühmter schreibtisch
(FOTOGRAFIERVERBOT); intarsien im
knebelbart, ein ahnengähnen; dauerhafter
ludwignippes, die bibliothek im krieg
ein bißchen abgebrannt;
so angefressues
blattkapitell, KAPITÄLCHEN WERDEN
INSTALLIERT. erfrischungstüchlein rum-
gereicht; die hand (»cleveland/ohio
osaka zuhauf«), die hände ins wind-,
ins wasserspiel getaucht ACHTUNG!,
die busladung vom niederrhein! da gibts
noch einschußlöclier;
sind alle da? jetzt
wird der wein geprobt, lecker möselchen
mit doppeltem perkeo, silverlöffelchen,
geprägtes duodez DAS BUNTE RÜDESHEIMER
WAPPM; den »Alten Elephantenfriedhof«
schnell noch inspiziert. NICHT AUF DEM
RASN SPUCKN! PFAUEN-KNEBELN UNTERSAGT!

Thomas Kling 1995

Weitere Gedichte:

Ferdinand Freiligrath

Von unten auf!
Ein Flecken am Rhein
Die Linde bei Hirzenach
1843

Emanuel Geibel

Ich fuhr von Sankt Goar
Auf dem Rhein (1841)
Abschied von Sankt Goar
(Abschiedsworte an Ferdinand Freiligrath)

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Guillaume Apollinaire und der Rhein
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Stand: 19.05.09